Die cattas arbeiten nicht nur an Citizen Science Projekten, sie geben auch gerne ihr Wissen weiter. Präsentationen und Workshops werden dabei an die Bedürfnisse der Workshopteilnehmenden angepasst. Ende Oktober hat Pia in Frauenfeld für den Verband bibliostschweiz, die Ostschweizer Sektion des nationalen Fachverbandes Bibliosuisse, eine Einführung zu Citizen Science gegeben. Joana Keller von der Kantonsbibliothek Thurgau hat dazu einen Veranstaltungsbericht geschrieben.
Danke, Joana, dass wir diesen Text hier publizieren dürfen!
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Workshop "Citizen Science in der bibliothekarischen Praxis"
Partizipative Forschungsprojekte (auch) in Bibliotheken? Wie sie gelingen können, lernten Ostschweizer Bibliothekarinnen und Bibliothekare in einer Weiterbildung – und wurden im Anschluss selbst zu Citizen Scientists.
"Die Leute packen, damit sie mitmachen wollen." (Pia Viviani)
Ob DIY Science, Bürgerinnen- und Bürgerwissenschaft oder partizipative Wissenschaft: Eine ungefähre Vorstellung von Citizen Science hatten schon alle Teilnehmenden des Workshops "Citizen Science in der bibliothekarischen Praxis". Selber an einem Projekt mitgewirkt haben bislang die wenigsten. Das sollte sich an diesem Nachmittag ändern. Denn der Workshop, zu dem bibliostschweiz, die Ostschweizer Vereinssektion des nationalen Bibliotheksfachverbandes Bibliosuisse, am 6. November 2024 in die Kantonsbibliothek Thurgau eingeladen hatte, versprach genau dies: Nach einer theoretischen Einführung selber in die Praxis eintauchen.
Mit Pia Viviani wurden die Teilnehmenden von einem wahren Citizen Science-Profi in die Thematik eingeführt. Seit vielen Jahren setzt sich die ausgebildete Biotechnologin mit ansteckender Begeisterung für Kommunikation dafür ein, Wissenschaft und Forschung einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Mit ihrer Firma catta berät und unterstützt sie Organisationen bei der Planung und Durchführung von Citizen Science Projekten. Neben langjähriger Erfahrung vereint das Team Kompetenzen aus den Bereichen Kommunikation, Projektplanung, Wissenschaftskommunikation und Storytelling. Denn Citizen Science, so Viviani, sei im Kern vor allem "ganz, ganz viel Kommunikation." Es geht darum, bei möglichen Teilnehmenden die Lust zu wecken, sich an einem Projekt zu beteiligen.
"Wenn Menschen ohne akademische Institution im Hintergrund nach wissenschaftlichen Methoden Forschung betreiben, ist das Citizen Science." (Pia Viviani)
Die Ursprünge von Citizen Science führen in die USA. Mitte der 1990er Jahre leistete der Ornithologe Rick Bonney mit dem Einbezug von Amateurinnen und Amateuren in seine Forschung Pionierarbeit. Bonney erdachte partizipative Wissenschaft als Spektrum zwischen Forschung und Öffentlichkeit. Am einen Pol stehen Projekte, die vollumfänglich durch die Wissenschaft geplant werden. Die Citizen Scientists tragen hier nur Daten bei, welche sie nach Vorgaben der Forschenden erheben. Bei kollaborativen Projekte arbeiten die Citizen Scientists bei Analyse und Verbreitung der Daten mit und passen das Projektdesign an. Forschungsprojekte können aber auch von institutioneller Wissenschaft und Citizen Scientists gemeinsam geplant werden. Wenn mindestens ein Teil der zuletzt genannten in alle Schritte des Prozesses einbezogen sind, spricht man von sogenannten "co-created projects". Anders als Bonney, für den das Spektrum hier endet, denkt Pia Viviani weiter. Denn Forschungsvorhaben können auch mit einer marginalen Beteiligung der institutionellen Forschung oder sogar "nur" in beratender Form durch dieselben von Citizen Scientists durchgeführt werden.
"Welches Wissen bzw. Können habe ich, was brauche ich zusätzlich?" (Pia Viviani)
Viviani erläuterte, dass sich grundsätzlich viele Forschungsvorhaben für kollaborative Herangehensweisen eignen würden. Gerade, wenn ein Teil des Know-Hows fehlt, sei Citizen Science als Denkansatz spannend. Für Institutionen ist dabei wichtig, den Fokus nicht auf den Output zu verengen und die Wertschätzung für die Arbeit der Citizen Scientists gross zu schreiben. Denn wenn deren Interessen vernachlässigt würden, wird kaum jemand teilnehmen und längerfristig dabeibleiben. Auch die Ansprüche und Interessen anderer Akteurinnen und Akteure, seien es beratende oder finanzielle Partnerinnen und Partner, mögliche Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, Medien oder die Konkurrenz, gilt es von Beginn an mitzudenken und ernst zu nehmen. Diese könnten unterschiedlicher nicht sein: Während Forschende primär an den Daten interessiert sind, kann etwa die PR-Abteilung der Universität vor allem die Aussenwirkung eines Projekts im Blick haben. Hier gilt es vor allem zwischen den verschiedenen Interessen zu vermitteln. Dies gelingt mitunter dank zielgruppenspezifischer Kommunikation.
"Zeigen, welche Vorteile die Citizen Scientists aus ihrer Beteiligung haben." (Pia Viviani)
Nach dieser inspirierenden Einführung wechselten die Teilnehmenden im zweiten Teil des Nachmittags die Rolle. Hatten sie vorher eher eine institutionelle, planende Perspektive gehabt, sollten sie nun selbst zu Citizen Scientists werden. Für diesen Zweck hatte Bernhard Bertelmann, Kantonsbibliothekar und Vorstandsmitglied von bibliostschweiz, ein Beispielprojekt entworfen. Ziel war es, die Publikationskommission eines Buchprojekts bei der Recherche zum Leben von Italienerinnen und Italienern in der Schweiz zu unterstützten.
Als Quellenbasis diente die digitalisierte Regionalzeitung aus Steckborn, der "Bote vom Untersee und Rhein". Über die Plattform e-newspaperarchives.ch stehen die Jahre 1900-2023 dieser Zeitung im Volltext durchsuchbar zur Verfügung. Aufgeteilt nach Jahren durchsuchten die Teilnehmenden die Zeitung nach Textstellen, Inseraten und amtlichen Anzeigen, die sich zur Lebenssituation von Italienerinnen und Italienern in der Schweiz, konkret in der Unterseeregion, äussern.
Gefundene Artikel wurden als Screenshots auf Historypin.org in einer dafür angelegten Sammlung lokalisiert, mit dem Digitalisat verlinkt und mit vordefinierten Metadaten versehen. Auf diese Weise entstand innert einer guten Stunde konzentrierter Arbeit eine Übersichtskarte mit Zeitstrahl. Sie stellte dar, an welchen Orten zu welchem Zeitpunkt über Italienerinnen und Italiener im Thurgau berichtet wurde. Dank der standardisierten Beschlagwortung wären auch Aussagen über die Kontexte der Berichte möglich.
Fazit der abschliessenden Evaluation war, dass aus der Idee durchaus ein reales Projekt werden könnte. Gemeinsam mit Pia Viviani erörterten die Teilnehmenden, was es für eine erfolgreiche Aufbereitung noch bräuchte. Neben der Wichtigkeit einer ebenso ästhetischen wie funktionalen Aufbereitung kamen viele kreative Ideen zusammen, wie Teilnehmende für das Projekt gewonnen werden könnten. Dass dabei kulinarische Anreize einen nicht unbeachtlichen Teil ausmachten, dürfte mitunter am kurz bevorstehenden Apéro riche gelegen haben.
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Weitere Infos zu catta Workshops über Citizen Science und Wissenschaftkommunikation findet ihr hier:
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